Thida Thavornseth, Chefin der Rothemden, kämpft für echte Demokratie in ihrer Heimat
Hamburg. Das hat es in der Geschichte des südostasiatischen Königreiches bisher nicht gegeben: Zwei Frauen bestimmen die Innenpolitik Thailands und ntwickeln sich dabei von anfänglichen Verbündeten zu Gegenspielerinnen. Premierministerin Yingluck Shinawatra
regiert nach dem überwältigenden Wahlsieg ihrer Puea-Thai-Partei (PTP) vor einem Jahr über die liberalkonservativen
Demokraten des damaligen Amtsinhabers Abhisit Vejjajiva seit Anfang August 2011 in Bangkok. Die 45-Jährige, die sich bis heute zu einem Staatsbesuch in Deutschland aufhält und anschliessend nach Frankreich weiterreist, gilt als Platzhalterin ihres Bruders Thaksin Shinawatra, den das Militär mit einem Putsch im September 2006 ins Exil getrieben hat.
Seit Wochen mehren sich indes die Gerüchte, dass Thaksin demnächst in seine Heimat zurückkehrt. Der Erfolg der «Partei für Thais» (PTP) gründet auf der Unterstützung durch die «Vereinigte Nationale Front für Demokratie gegen Diktatur» (UDD), den sogenannten
Rothemden. Sie werden angeführt von der 68-jährigen Mikrobiologin Thida Thavornseth.
Die Ikone der thailändischen Demokratiebewegung verlangt eine Reform der Verfassung sowie die Bestrafung der Verantwortlichen, die das brutale Vorgehen der Militärs gegen die Massenproteste der UDD im Mai 2010 angeordnet hatten. Dabei waren 91 Menschen getötet und 2000 verletzt worden. Ausserdem warnt die Politikerin vor einer Rückkehr von Ex-Premier Thaksin nach Thailand zum jetzigen Zeitpunkt.
BaZ: Sie sind nach Den Haag geflogen, um den Internationalen Strafgerichtshof aufzufordern, den damaligen Premier Abhisit Vejjajiva sowie die übrigen Verantwortlichen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit anzuklagen. Diese hatten vor zwei Jahren das brutale Vorgehen der Armee gegen demonstrierende Rothemden in Bangkok angeordnet.
Warum Ihr Gang nach Den Haag ?
Thida Thavornseth: Wenn wir gute Gerichte in Thailand hätten, wäre das nicht notwendig gewesen. Aber die Gerichte handeln nicht im Einklang mit dem Willen des Volkes, deshalb
haben wir uns zu diesem Schritt gezwungen gesehen. Ausserdem gibt es in der thailändischen Gesetzgebung keinen Straftatbestand «Verbrechen gegen die Menschlichkeit», wie sie definiert werden vom Rom-Statut, der Rechtsgrundlage des Internationalen Strafgerichtshofes. Er ist unsere einzige Hoffnung.
Zunehmend wird in Bangkok über eine Rückkehr des 2006 gestürzten ehemaligen Premiers Thaksin Shinawatra aus dem Exil nach Thailand spekuliert.
Alle Rothemden wollen, dass Thaksin zurückkommt. Aber die Rothemden verstehen auch, dass er nicht am Leben bleiben würde. Wir wollen, dass es sicher für ihn ist zu bleiben, wenn er wieder nach Thailand kommt. Solange es in Thailand keine Rechtsstaatlichkeit
gibt, kann Thaksin nicht zurück. Zuerst brauchen wir eine neue Verfassung, das hat oberste
Priorität. Die Verfassung, die nach dem Putsch gegen Thaksin auf Betreiben des Militärs ausgearbeitet worden ist und seit 2007 gilt, wird von uns abgelehnt.
Nach dem Verständnis der Weltöffentlichkeit ist Thailand eine konstitutionelle Monarchie. Wenn wir Sie richtig verstehen, gibt es in Thailand aktuell weder echte Demokratie noch funktionierende Rechtsstaatlichkeit ?
Unser Land, in dem das Volk die Macht als allgemeiner Souverän ausüben sollte, wird kontrolliert von elitären Gruppen, das sind Militär, Justiz und Aristokratie. Insbesondere
Militär und Justiz arbeiten zusammen gegen das Volk: Jedes Mal, wenn die Armee geputscht hat, ist das von den Gerichten im Nachhinein abgesegnet worden. Mit Begründungen
wie der Formulierung, «im erfolgreichen Staatsstreich» manifestiere sich die Ausübung «der höchsten Autorität im Land». Dagegen kämpfen wir Rothemden: Wir wollen, dass dieses
Land dem Volk gehört. Wir wollen echte Demokratie und kein Spiel, dessen Regeln bestimmt werden von einer Gruppe Leute, die im Land die Macht an sich gerissen haben.
Mit Yingluck Shinawatra haben die Rothemden doch ihre Frau an die Regierung gebracht. Trotzdem sitzen noch immer Rothemden im Gefängnis. Führende Persönlichkeiten unter ihnen stehen weiterhin unter Anklage. Warum ?
Die Gerichte in Thailand sind eine wichtige Stütze der Oligarchie, sie haben keinerlei Beziehung zum Volk. Zugleich berufen sich die Gerichte stets darauf, ihre Urteile im Namen
des Königs zu fällen. Deshalb ist es für die gewählte Regierung unter Yingluck Shinawatra schwierig, im Gespräch mit den Gerichten eine Lösung herbeizuführen. Zumal auch die
Armee nach wie vor ein wichtiger Machtfaktor ist.
Mit gemeinsamen öffentlichen Auftritten will Premierministerin Shinawatra ihr gutes Verhältnis zu Armeechef Prayuth Chan-ocha demonstrieren. Nicht allen Rothemden gefällt dieser Kuschelkurs. Schliessen Sie sich der Kritik an ?
Wir verstehen, dass Yingluck Shinawatra alles versucht, um ihre Regierung im Amt zu halten und so lange wie möglich Premierministerin zu bleiben. Wir, die «Vereinigte Nationale
Front für Demokratie gegen Diktatur », sind aber eine andere Organisation als die Pheu-Thai-Partei, auf die sich die Regierung stützt. Wir wollen Thailand und seine Gesellschaft verändern. Wir wollen Rechtsstaatlichkeit durchsetzen und die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Wir unterstützen die Regierung von Shinawatra, aber wir warnen sie auch: Sie soll die Geduld des Volkes nicht zu sehr strapazieren. Wir warnen als Freunde, nicht als Feinde.
Die Regierung hatte angekündigt, eine Kommission für die Verfassungsreform einzusetzen. Die oppositionelle demokratische Partei hatte dagegen Beschwerde beim Verfassungsgericht
eingelegt. Sie behauptet, die Monarchie soll abgeschafft werden. Das Gericht
wies den Antrag zurück. Wie soll es gelingen, die nach den Wünschen der Militärs massgeschneiderte Verfassung wieder zu ändern ?
Wir müssen das einfach durchsetzen. Deshalb haben wir unseren Anhängern gesagt, dass jetzt die nächste Runde des Kampfes begonnen hat. Und das ist ein Kampf, den wir mit einer neuen Strategie und mit Verstand führen werden. Wir wollen, dass die Macht wieder in den Händen des Volkes liegt, und als ersten Schritt wollen wir den Wissensstand der Menschen verbessern: Vor allem die Rothemden sollen die bisherigen Machtverhältnisse
im Land verstehen und die Ziele, für die wir kämpfen. Daher gründen wir mobile politische Schulen überall im Land. Davor kriegen unsere politischen Gegner von der Demokratischen
Partei von Ex-Premier Abhisit Angst. Denn wir verändern dadurch die thailändische Gesellschaft von unten.
Wie lange wird die Armee stillhalten ? Kann es sein, dass Offiziere ernsthaft über einen Putsch nachdenken ?
Das mag sein.
Und was würden Sie tun, wenn die Panzer wieder durch Bangkok rollen ? Erneut in den Dschungel gehen wie 1976 nach dem Massaker an der Thammasat-Universität, als die Armee Studentenproteste unterdrückte?
Nein. Das wird nicht notwendig sein. Momentan zählen die Rothemden nicht weniger als 15 Millionen Anhänger, so viele Menschen haben nämlich die Puea-Thai-Partei gewählt. Mit den Unterstützern erreichen wir gut 20 Millionen und wir arbeiten täglich daran, diese Basis zu
verbreitern. Deshalb dürfte es den Militärs klar geworden sein, dass es ziemlich schwierig werden würde, eine Wiederholung des Putsches von 2006 zu versuchen.